Vor einem Monat erhielt Christian Kern einen sehr schlechten Rat von seinem Social Media- bzw. Wahlkampf-Team. Um den Anspruch der SPÖ auf Wähler aus der Mittelschicht zu untermauern, sollte Kern als Pizzabote inszeniert werden, der die Wähler bei sich zuhause besucht. Aus irgendeinem Grund ist niemandem eingefallen, dass mit so einer billigen Inszenierung das Charisma eines Bundeskanzlers gründlich beschädigt würde. Die sozialen Netzwerke lachten sich halb tot. Und Pizzabote Kern hatte einen verächtlichen Spitznamen gefunden.
Wenige Wochen später weigert sich der neue ÖVP-Chef Sebastian Kurz, in der Regierung neben Kanzler Kern als Vizekanzler Verantwortung zu übernehmen. Damit signalisiert Kurz: Christian Kern ist es nicht wert, auf Augenhöhe mit mir zusammenzuarbeiten. Kern musste sich zähneknirschend in diese Inszenierung fügen und Justizminister Brandstetter als Vizekanzler akzeptieren. Konfrontiert mit dieser und anderen unfreundlichen Gesten seines neuen Gegenspielers muss Kern immer wieder reagieren und wirkt damit passiv und vergleichsweise schwach.
Dabei ist es nur wenige Monate her, dass Christian Kern jubelnd wie ein siegreicher Boxer die Bühne seiner Rede zum Plan-A verließ, da hatte er Star-Appeal.
In wenigen Monaten hat sich das Image von Kern stark verändert, sicher zu seinem Nachteil. Aber hat sich auch der Politiker Kern geändert?
Dafür gibt es keine Hinweise, er ist wohl der Alte. Was sich geändert hat, ist nur die vorherrschende Erzählung über ihn, die von den Medien verbreitet wird und die politischen Gespräche und Gedanken der Bürger beeinflusst. Das ist nicht wenig – Politiker leben von ihrem Image. Und Politiker wie Kern (und Kurz) lieben die Selbstinszenierung, erkennen sie als ihre größte Stärke und werden vom Wahlvolk auch fast nur über ihr Image wahrgenommen. Hand aufs Herz: Wer hat die große Rede von Kern zum Plan A angesehen? Die wenigsten. Die täglichen Häppchen in den Zeitungen und sozialen Netzwerken reichen den meisten Wählern völlig. Und das ist der Grund, warum Kern in gewisser Weise jetzt wirklich ein schlechterer Politiker ist als vor einem Monat, auch wenn sich an seinen Inhalten nichts geändert hat. Aber wer zu 80 Prozent aus Image besteht und nur zu 20 Prozent aus Inhalt, bei dem geht jede Beschädigung des Images an die Substanz. Deswegen haben solche Politiker so ein kurzes Ablaufdatum.