Der Unernst liegt den Österreichern und Österreicherinnen schon immer im Blut. Deswegen wurden die Anzeichen übersehen, als die Katastrophe noch aufzuhalten gewesen wäre. Satire gibt es ja auch in anderen Ländern. Die österreichische Kleinkunst jedenfalls erlebte ab den 90er-Jahren einen kommerziellen Aufschwung, ihre Bühnen platzten in allen Landesteilen, in Kino und Fernsehen aus allen Nähten, während die traditionellen Theatersäle unter dem Staub des Kanons irgendwann in Vergessenheit gerieten. Das Online-Medium Tagespresse gedieh zum österreichischen Leitmedium, und schnell waren die Zeiten vorbei, als ein Parteichef mehrmals die absurden Nonsens-Texte der Tagespresse für bare Münze nehmen konnte. Tagespresse-Parodien wurden nun von den „ernsten“ österreichischen Medien und sogar vom Bundespräsidenten (Angelobungs-Drive-Through) in ihren Kommentaren beiläufig erwähnt, als gehörten sie zum Allgemeinwissen.
Auf Twitter und in den Leserforen der Zeitungen versuchte sich zunächst die Intelligenzija, und dann alle des Schreibens mächtigen Bürgerinnen und Bürger als Hobby-Satiriker. Prominente Politiker und Politikerinnen wurden mit Leidenschaft und Ausdauer geschmäht und zu Witzfiguren heruntergeschrieben, jede persönliche Schwäche erbarmungslos vom lachwilligen Wahlvolk sarkastisch angeprangert und von meinungshomogenen Hetzmassen auf großen Social Media-Kanälen verdammt.
Als ein wild polemisierender Nationalratsabgeordneter von der Tagespresse wegen satirischer Geschäftsschädigung und unlauteren Wettbewerbs angezeigt wurde, führte dies zu ernsthaften juristischen Debatten der Causa im Feuilleton. Die Politik sah sich veranlasst, die Angelegenheit parteipolitisch zu kommentieren – die Satire begann, politisch real zu werden. Da war es nur eine weitere absurde Zuspitzung, die kaum kommentiert wurde, dass der Herausgeber der Tagespresse ein Buch veröffentlichte, in dem er betrübt die Bedrohung durch Fake News in den sozialen Medien beklagte.
Zu dieser Zeit begab es sich, dass ein türkiser Medienmagier vom Olymp stürzte. In seiner Nachfolge stieg zum rührigsten politischen Medienaktivisten der Gründer der ursprünglich satirischen Bierpartei auf, ein Unterhaltungsmusiker, der als erster Kandidat sein Antreten bei der Bundespräsidentenwahl bekanntgab, während der Amtsinhaber noch abwartete. Schon bei der vorigen Wahl waren die Kandidaten der Großparteien kaum ernstgenommen worden. Die Präsidentschaftswahl mit ihrem teilweise symbolischen Charakter bot sich 2016 als Spektakel der politischen Zuspitzung an, und sie tat es 2022 wieder. Das Thema war nun Satire versus Realität, Politik als Unterhaltung versus Politik als Verwaltung. Natürlich gewann die Satire, so wie einige Jahre davor in der Ukraine. Gewählt wurde im Herbst 2022 die Darstellung, der Unernst, der Spaß.
Danach löste sich die politische Realität der Republik umstandslos in lautem Gelächter auf.
Ein neuer Nationalrat wurde zum Großteil aus Vertretern und Vertreterinnen der österreichischen Kleinkunstszene, Social Media-Stars und Meinungsjournalisten gebildet. Zu legislativer oder exekutiver Tätigkeit war dieses neue Establishment nicht aufgelegt, was innerhalb der Grenzen Österreichs aber niemandem weiter aufgefallen wäre, wir unterhielten uns prächtig.
So oblag es der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyden, zum 31.12.2023 den Ausschluss Österreichs aus der europäischen Union zu verkünden, und zwar wegen Handlungsunfähigkeit, Ziel- und Planlosigkeit, und generell politischer Hoffnungslosigkeit. Sie bedaure das, sagte sie, der Kontinent freue sich aber auch in Zukunft auf zahlreiche lustige Wortmeldungen von österreichischen Internetaccounts.