Donnerstag, Oktober 9, 2025

Korruptionskritik allein ist zu wenig

Es werden derzeit viele Hände über Köpfen zusammengeschlagen, was könne man denn tun, irgendjemand müsse etwas unternehmen, vielleicht ein Volksbegehren. Anlass sind die peinlichen SMS-Chats von ÖVP-Politikern, die rund um den Ibiza-Ausschuss an die Öffentlichkeit gelangt sind. Oder ähnlich: Die Medien sollten unbedingt so viel Druck aufbauen, dass bestimmte Personen gar nicht anders könnten als zurückzutreten. Man kann bedauern, dass in Österreich Rücktritte in einer derartigen Sache nicht selbstverständlich sind, aber es ist wohl so:  Diese Geschichte kann tatsächlich ausgesessen werden.

Für das kleine Politikprojekt Republik21.at war seit seinem Anfang im Jahr 2017 die Beendigung der strukturellen Durchdringung des Staatsapparats durch die Parteien (Verwachsener Staat) das Hauptanliegen. Zunächst war das gegen den SPÖ-ÖVP-Proporz gerichtet, dann gegen die ÖVP-FPÖ-Koalition, und schließlich wurde hier das Fehlen einer gemeinsamen Programmatik in der türkis-grünen Koalition beklagt. Insofern sind die aktuellen Enthüllungen keine Überraschung, sondern eine traurige Bestätigung. Nur war unsere Argumentation immer breiter als reine Korruptionskritik. Korruption haben wir als strukturelles Ergebnis jahrzehntelanger Systemstabilität gesehen, die zu einer Erschöpfung und Erosion der identitätsstiftenden Kraft der Demokratie führt.

Deshalb kann es auch nicht ausreichen, nur Symptome zu behandeln, um Korruption durch Formalregeln zu bannen.

Denn motivierte politische Akteure werden, einmal an der Macht, immer einen Weg finden, Regeln auszuweichen oder sie bewusst zu hintergehen. Ein besseres Mittel gegen strukturelle Korruption wären demokratische Wahlen, in denen als korrupt wahrgenommene Parteien abgestraft werden. Leider ist nach dem Wahltag die Möglichkeit, Vertrauenspersonen an Schaltstellen zu platzieren, so attraktiv, dass selbst eindeutige Zusagen aus Wahlprogrammen schnell in Vergessenheit geraten.

Daher ist  neben einer neuen Regulierung für die transparente Vergabe öffentlicher Posten eine grundlegende inhaltliche Erneuerung der Politik notwendig. Ja, Verzicht auf korrupte Klientelpolitik sollte zentrales Element der politischen Programmatik möglichst vieler Parteien werden. Aber Zynismus und Machtmissbrauch wachsen besonders dort, wo Inhalte und Ideale erschöpft sind. Übrigens ist auch die Zersplitterung der gesellschaftlichen Debatte in eine Vielzahl identitätspolitischer Anliegen eine Begleiterscheinung genau dieser Erschöpfung der Inhalte.

Stattdessen sollten aus verschiedenen weltanschaulichen Perspektiven neue Antworten zu Fragen wie diesen in den Vordergrund gestellt werden: Was bedeutet Sicherheit in einem kleinen, reichen, offenen Staat zu Zeiten von Globalisierung und Klimawandel? Was bedeutet Gerechtigkeit, wenn Eliten immer reicher werden, die untere Mittelschicht erodiert, während der Druck der Armutsmigration absehbar weiter wächst? Was bedeutet Wirtschaftspolitik nach dem Ende der großen Ideologien? Wie kann der Staat als wirksamstes Vehikel politischer Interventionen neue Identifikation schaffen, und dabei diverseren Ansprüchen gerecht werden als jemals zuvor?

Erst wenn die Auseinandersetzung um Inhalte wieder mit der Leidenschaft und Begeisterung vermittelt wird, die ihr gebührt – und dafür sind zeitgemäße Kommunikationsformen teilweise erst zu finden – erst dann wird der lauernden Gefahr, bis zur völligen Erschöpfung der Politik in Korruptionsdebatten zu versinken, die Grundlage wirksam entzogen.

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