Das Verdauungssystem eines Wurms mit verschiedenfarbigen Köpfen an beiden Enden würde nicht lang bestehen – der arme Wurm würde irgendwann platzen… Aber genug der Grauslichkeiten: Der neuen Regierung viel Glück im neuen Jahr! Jedenfalls entsteht damit etwas Neues in der österreichischen Politik. Seit der SPÖ-FPÖ Koalition 1983-1987 war der Machtunterschied zwischen zwei Koalitionsparteien nicht so groß. Damals in Österreich und in den besten Zeiten der FDP als Funktionspartei in Deutschland war der kleine Koalitionspartner eine zumindest vordergründig liberale Partei, mit geringer Distanz zu den herrschenden Verhältnissen. Die Grünen haben sich da historisch anders gesehen, als Befürworter radikaler Systembrüche. Es hieß immer, gegensätzliche Koalitionen auf Länderebene seien deswegen möglich, weil die ideologiebesetzten Materien im Bund verhandelt werden – Irrtum, wie wir nun wissen, auch eine Bundeskoalition mit der Neuen ÖVP von Sebastian Kurz passt in den Grünen Handlungsrahmen. Und so wird sie angelobt, die gegensätzlichste Koalition der zweiten Republik.
Dass Sebastian Kurz ein Gewinner dieser Entwicklung ist, steht fest: Er zeigt Verantwortung, Flexibilität, Modernität – und bekommt so viele Ministerinnen und Minister, dass der Bündeproporz leicht fällt. Auch programmatisch ist die Koalition mit den Grünen eine elegante Methode, um die Klimapolitik in sein türkises Projekt zu integrieren. Angesichts der komfortablen Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat riskiert Kurz nicht viel: Im Fall der Fälle kann er jederzeit den Koalitionspartner wechseln.
Spannend bleibt, ob diese Koalition der Gegensätze als Regierung auch politisch funktionieren kann. Kann es ihr gelingen, eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung hinter einem gemeinsamen Zukunftsprojekt zu versammeln?
Dazu müsste aus den Ideen der beiden Lager eine schlüssige gemeinsame Vision entstehen. „Klima und Grenzen schützen“ war der erste, ausbaufähige Versuch der türkisen Kommunikationsstrategen.
Wer den Reden am öffentlich übertragenen Bundeskongress der Grünen zugehört hat, weiß, dass die Grünen weiterhin von ihren gesellschaftspolitischen Visionen träumen. Und die beinhalten nun einmal das Gegenteil konservativer Lebenswelten. Was wird aus dieser Dissonanz in einer Regierungszusammenarbeit entstehen? Müssen wir uns auf konkurrierende Presseaussendungen der beiden Parteien mit entgegengesetzten Begründungen für jedes einzelne Projekt der Regierung einstellen? Oder werden sogar viele der im Regierungsprogramm nur vage beschriebenen Initiativen an Meinungsverschiedenheiten der Partner scheitern?
Wie gesagt, die ÖVP profitiert von einer überaus komfortablen Mehrheitssituation, so dass das Risiko des Scheiterns vor allem die Grünen trifft. Ohnehin wird es denen nicht dauerhaft gelingen, die Mitverantwortung für alle, auch die ungeliebten Inhalte der vereinbarten Regierungspolitik von sich zu weisen. Es bleibt den Grünen daher wohl nur übrig, sich dieser türkislastigen Programmatik ein Stück weit anzupassen – sich als Amtsträger und -trägerinnen vom Amt verändern zu lassen, wie es der übliche Lauf der Geschichte ohnehin vorsieht.
Wenn das passiert, könnte eine neuartige türkis-grüne Position im österreichischen politischen Spektrum entstehen, die im Idealfall den Zielen des Projekts Republik 21 recht nahe käme: Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in einem starken Staat, sichere Umwelt, gute Arbeit in einer funktionierenden, liberalen Wirtschaft, leistungsfähige Infrastrukturen, Transparenz in modernisierten Institutionen… für vieles davon finden sich im vorgelegten Regierungsprogramm Ansätze. Wenn die beiden Regierungsparteien eine echte inhaltliche Integration zuwege bringen, und es noch mehr als im Programm schaffen, tatsächlich alle Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, dann kann das sehr gut werden. Vorbehalte und Stolpersteine gibt es genügend. Schauen wir einmal… aber versuchen wir auch aktiv mitzudenken und jene verbindenden Mittelwege zu formulieren, die diesen beiden Parteien in der Vergangenheit so schwer gefallen sind.