Im dschungelhaft verwachsenen Staat Österreich brechen in diesem Sommer 2017 vier Bestien durch das Unterholz. Äste knacken, Stämme bersten und fürchterliches Gebrüll versetzt den armen Mowgli in Angst und Schrecken.
Wir befinden uns in der Rudyard Kipling-Version des Dschungelbuchs, nicht im zahmen Kinderfilm von Walt Disney.
Alle friedlichen Bewohner dieses Waldes fürchten sich vor der schwarz-blau-türkis gezackten Riesenschlange Kaa, vor dem rot-schwarz gestreiften Tigerbösewicht Shere Khan, vor dem rot-blau zottigen Braunbären Balu und vor der rot-grün-pink bunten Affenbande unter König Louie. Gefressen werden wir alle, die Frage ist nur, von wem? Hier die Einschätzung des R21-Orakels.
Das große Fragezeichen ist Umfragekaiser Sebastian Kaa, äh Kurz. Werden die Umfragen halten, die seine ÖVP derzeit deutlich über 30 Prozent und mit Respektabstand vor der Konkurrenz sehen? Das steht keineswegs fest, ganz auszuschließen ist es aber auch nicht, daher müssen wohl die aktuellen Umfrageergebnisse als Hauptszenario herhalten. Mit einem solchen Wahlergebnis ist die schwarz-blau-türkise Kaa am wahrscheinlichsten. Für die FPÖ wäre es sonst schwer, ihren Wählern zu erklären, warum die Chance auf eine so richtig restriktive Einwanderungspolitik nicht genützt wurde. Und da ist mit Kurz wohl mehr möglich als mit Kern. Zu rechnen ist dann mit einem unübersichtlichen Schlängelkurs zwischen Visegrád und Westeuropa. Die eine oder andere Ohrfeige von Jean-Claude Juncker wäre drin, Sanktionen diesmal nicht. Ohne den sprunghaften Haider an der Spitze, sondern mit einer Strache-Hofer-Doppelzunge, dürfte die FPÖ dabei besser aussteigen als damals unter Schüssel.
Inhaltlich geht von allen Parteien die SPÖ am besten vorbereitet in diesen Wahlkampf. Die zuletzt präsentierten sieben Koalitionsbedingungen lagen sicher schon in einer Schublade bereit und sind nicht substanzlos, wenn auch manche allzu billige Tricks wie der Versuch, die unpopuläre Erbschaftssteuer mit der populären Regressabschaffung zu verbinden, scheitern werden. Taktisch hat es die SPÖ nicht leicht. Aber vorstellbar ist, dass der telegene Christian Kern in TV-Konfrontationen mit Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache recht gut abschneidet und der aktulle Hype um Kurz in sich zusammenfällt. Bei einem SPÖ-Wahlsieg mit einigen Prozent Vorsprung wäre Kurz dann wohl nur kurz ÖVP-Obmann gewesen und ein SPÖ-kompatibler Nachfolger könnte die nächste große Koalition in die Wege leiten. Und dann weiter wie bisher, ein neuer Anfang, eine ganz neue Art der Zusammenarbeit und so weiter und so fort. Der Horror! Ein Tänzchen mit Shere Khan kann kaum schlimmer sein.
Doch auch der rot-blaue Braunbär Balu in der Version von Kipling ist ein grantiges, wahrscheinlich bösartiges Tier. Er betritt am ehesten bei einem knappen SPÖ-Sieg die Bühne, der es nämlich Sebastian Kurz erlaubt, auch als Verlierer an der ÖVP-Spitze zu bleiben und auf rasche Neuwahlen hinzuarbeiten. Wird die FPÖ Erster, dürfte sich hingegen die SPÖ verweigern. Rot-Blau, das wäre wohl Geld-Verteilen mit Tempo 160, Schuldenwachstum und Dauerstreit mit der EU-Kommission über die Personenfreizügigkeit in der EU. Der Bürger würde so lange mit populistischer Zuwendung umarmt, bis ihm die Steuer-Luft wegbliebe.
Bei Kipling ist die Affenkolonie pure Anarchie, Disney hat ihr einen verwirrten König spendiert. In jedem Fall ist Rot-Grün-Pink, und noch mehr Türkis-Pink-Grün, eine reichlich unwahrscheinliche Variante. Dafür müssten SPÖ oder ÖVP nach heutigem Stand auf über 35 Prozent kommen. Und wie Wirtschaftspolitik mit den in Wahrheit ultraliberalen Neos und den Ceta-feindlichen Grünen unter einen Hut zu bringen ist, das müsste sich dann ein Affenkönig überlegen, den man sich permanent am Rand des Nervenzusammenbruchs vorstellen darf. Gesellschaftspolitisch könnte die Rot-Grün-Pink-Variante recht harmonisch verlaufen (ähnlich wie Schwarz-Blau), aber in der Regierungsarbeit sticht die Wirtschafts- und Steuerpolitik die kulturellen Wohlfühlthemen – oder sollte das zumindest.
Was tun, Mowgli? Du hast keine Chance, aber nutze sie: Verabschiede dich von diesem Dschungel, vielleicht findest du ja irgendwo ein paar vernünftige.. Menschen. Und wähle diesmal das geringste Übel.