Montag, Oktober 6, 2025

Showtime – von der Politik zum Spektakel

Im deutschen Bundestagswahlkampf gab es eine einzige Fernsehdiskussion zwischen der Kanzlerin und ihrem Herausforderer. Im österreichischen Fernsehwahlkampf gibt es gefühlt zehnmal mehr, bei zehnmal weniger Menschen. Sehen die Österreicher lieber fern? Oder funktioniert der demokratische Wettstreit in Österreich anders? Und woher kommen auf einmal all die professionell produzierten Online-Videos? Liegt die Erklärung in den drei äußerlich attraktiven Spitzenkandidaten?

Als historischer Zufall ist diese Geschichte schnell nacherzählt: In vergangenen Wahlkämpfen entdeckten die Werber der FPÖ das Potenzial der sozialen Medien für die Herstellung von Dynamik und Gegenöffentlichkeit in den rechtspopulistisch ansprechbaren Wählergruppen. Damit war die FPÖ so erfolgreich, dass die anderen Parteien ihrerseits zunehmend anspruchsvolle Medienstrategien entwickelten. Dazu kommt, dass sowohl Christian Kern als auch Sebastian Kurz ein besonderes Naheverhältnis zu Themen politischer Kommunikation auszeichnet. Kerns eigene politische Anfänge liegen in diesem Bereich, und Kurz hat seinen Aufstieg in der ÖVP vor allem den disziplinierten Kommunikationsstrategien seines JVP-Zirkels zu verdanken. Vor der Nationalratswahl 2017 stehen also drei Kandidaten im Ring, denen der Spektakel-Charakter der Politik auf den schlanken Leib geschneidert ist. Ja, das ist ein Stück weit Zufall.

Spätestens die ÖVP-Wahlshow in der Stadthalle eröffnete ein neues Kapitel in der Verwandlung der österreichischen Politik in eine Dauerwerbesendung auf allen Medienkanälen.

Doch es stellt sich die Frage, was ein einmal erreichtes derart hohes Professionalisierungsniveau der politischen Kampfkommunikation für die weitere Entwicklung der österreichischen Demokratie bedeutet? Steht uns Politentertainment wie in den USA bevor? Dazu sechs Thesen:

  1. Ein Wahlkampf, inklusive der Auswahl des geeigneten Spitzenkandidaten, ist in Zukunft ausschließlich unter den Parametern einer Marketingkampagne zu interpretieren. Das ist unausweichlich, der Schritt wurde von der absehbar erfolgreichen Kampagne Kurz vollzogen.
  2. Mit dem Zurückweichen der politischen Inhalte entsteht ein größerer Abstand zwischen dem tatsächlichen Gegenstand des demokratischen Parteienwettbewerbs und den Themen der Wahlauseinandersetzung.
  3. Wenn nicht von den wahlkämpfenden Parteien die Auseinandersetzung über Inhalte geführt wird, wer führt sie dann? Müssen inhaltliche Festlegungen von insistierenden Fragestellern in den Medien geradezu erzwungen werden? Ist der österreichische Journalismus dieser Herausforderung gewachsen? Ihm wird jedenfalls eine zentrale Rolle für die Bewahrung der demokratischen Standards zukommen – wobei die Nachrichtenredaktionen der Fernsehsender ORF und Puls 4, und die Politikredaktionen von Standard, Presse, Salzburger Nachrichten, Kurier, Wiener Zeitung und Falter aus heutiger Sicht die größten Hoffnungsträger sein dürften. In Notsituationen drohenden Demokratieverlusts könnten wohl auch die deutsche und schweizerische Medienszene helfend einspringen.
  4. Für politische Kampagnen, die sich gegen die herrschenden Parteien richten, wird es schwerer. Die Zeiten, in denen flinke Außenseiter die Regierungsparteien unter Nutzung der sozialen Medien mit wenig Budget übertölpeln konnten, dürften vorbei sein. Das wird Kleinparteien wie den Grünen oder Neos besonders schaden. Finanziell unterlegene Kampagnen werden sich noch mehr als bisher auf Strategien des Guerilla-Marketings konzentrieren müssen – aber nicht, weil das besonders aussichtsreich wäre, sondern notgedrungen, da bei Ressourcenunterlegenheit ein symmetrisch geführter Ideenwettstreit auf der Bühne der Multikanal-PR nicht mehr möglich sein wird.
  5. Die Frage des wachsenden Rechtspopulismus in Österreich ist damit allerdings noch nicht beantwortet. Zwar wurde die FPÖ mit diesem Wahlkampf zu einem Opfer ihres eigenen Erfolges: Ihre Themen und Sprachmuster waren so sehr im Zentrum der Gesellschaft angekommen, dass sie von den Systemparteien ÖVP und (teilweise) SPÖ angeeignet werden konnten, was der FPÖ ihre Alleinstellung bei der Ausländerfeindlichkeit genommen hat. Aber in einem funktionsfähigen Rechtsstaat, wie Österreich einer ist, kann das aggressiv-destruktive Element des Rechtspopulismus nicht ohne Weiteres durch Parteien in Regierungsverantwortung abgedeckt werden. Daran ist die FPÖ schon einmal zerbrochen, daran zerbricht gerade die Allianz zwischen der Präsidentschaft Trump und der Alt-Right-Bewegung von Stephen Bannon, und dadurch wird auch die Anti-Ausländer-Mobilisierung der Kurz-Kampagne einige Monate nach Regierungsantritt an ihre Grenzen stoßen. Der rechtspopulistische Impuls wird sich dann neue Kanäle suchen. Wenn die FPÖ dauerhaft in eine schwarz-blaue Regierungskoalition eingebunden wird, könnte das zu einem Aufblühen neuer Bewegungen im rechtspopulistischen Spektrum führen, oder auf längere Sicht zu neuen Abspaltungen von der FPÖ.
  6. Im linken Parteienspektrum wird die Suche nach Strategien beginnen, mit denen das verlorene Links-Rechts-Gleichgewicht in der politischen Debatte wieder hergestellt werden kann. Denn absehbar wird die Wahl am 15. Oktober zu einem Debakel für die Linksparteien, die von ca. 38% im Jahr 2013 auf ca. 33% (SPÖ, Grüne, Pilz) zurückfallen könnten. Dieser Weg zurück an die Macht wird ein langer. Die nächste Umgruppierung des Rechtsspektrums dürfte da zeitlich näher liegen.

Es sinnlos, die aktuellen dramatischen Veränderungen des österreichischen Parteienwettbewerbs hin zum Spektakel zu bedauern. Wettbewerb führt auch in der Politik zu Innovation. Die politischen Kräfte müssen diese Veränderungen rasch durchschauen und durch erfolgreiche Anpassung an die neue Wirklichkeit zu einem neuen Gleichgewicht der politischen Positionen zu gelangen. Denn an den Inhalten der politischen Auseinandersetzung hat auch die Showtime im Nationalratswahlkampf 2017 nichts geändert.

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