Samstag, Oktober 11, 2025

Von Kammern und Menschen

„Kammer“ – was für eine idiotische Bezeichnung für eine Interessensvertretung! Sofort stellt sich ein Gefühl von Enge und unbestimmter Bedrohung ein. Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer – es bleibt dabei. Und diese Kammern tun einiges, um sich solche negativen Assoziationen auch zu verdienen.

Die Arbeiterkammer berät die SPÖ, lobbyiert für altmodische Arbeitsmarkt-Konzepte, stellt eine Personalreserve für sozialdemokratische Ministerkabinette und verschweigt im monatlichen AK-Magazin alles, was nicht in ihr eigenes nelkenrotes Weltbild passt. Ein Leser, der all seine Informationen aus dieser durch Mitgliedsbeiträge finanzierten Publikation entnimmt, wäre vor Desinformation kaum lebensfähig.

Die Wirtschaftskammer macht Werbung für eine freie, unreglementierte Wirtschaft und ist selbst der Großmeister in Regulierung und Gängelung. Sie verteidigt die verknotete und verschlungene Gewerbeordnung, beschäftigt zahllose Kammerfunktionäre und hat aus Mitgliedsgebühren einen Notgroschen von über eineinhalb Milliarden Euro angespart (noch mehr als die Arbeiterkammer).

In einem früheren Beitrag hat die Republik 21 den Neos-Abgeordneten Sepp Schellhorn gelobt, der im letzten Jahr als Ein-Mann-Politikmaschine Druck auf beide Kammern ausgeübt hatte, am effektivsten hinsichtlich der intransparenten Milliarden-Rücklagen. Schellhorn und die Neos, aber auch die FPÖ, fordern als Schlussfolgerung aus diesen Kritikpunkten das Ende der Pflichtmitliedschaft. Nicht länger sollen Angestellte und Selbständige gesetzlich verpflichtet sein, regelmäßige Abgaben für AK bzw. WKÖ zu leisten, während beide Kammern oft an den Interessen ihrer Mitglieder vorbei handeln. Mit dem Ende der Pflichtmitgliedschaft soll Druck auf die beiden Organisationen ausgeübt werden, ernsthafte Reformen im Interesse ihrer dann freiwilligen Mitglieder in Angriff zu nehmen.

Doch bei aller Kammerskepsis: Einer Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft darf man nicht zustimmen. Warum nicht?

Die Sozialpartnerschaft hat der Zweiten Republik durchaus gute Dienste erwiesen. Im Grund definierte sie ein gemeinsames Verständnis der maßgeblichen wirtschaftspolitischen Interessensvertretungen – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – und lieferte eine feste Plattform für Verhandlungen, z.B. zu Kollektivverträgen, zwischen beiden Seiten. Lohnverhandlungen können nicht effizienter sein als wenn die beiden Verhandlungsparteien in einem stabilen, konsensorientierten Format aneinander gebunden sind. Entscheidend ist dabei, dass die Ergebnisse der Verhandlungen für alle Stakeholder in der gesamten Volkswirtschaft Gültigkeit haben und keine Möglichkeit besteht, dass sich einzelne Unternehmen aus dem Konsens ausnehmen.

All das leistet nur die Pflichtmitgliedschaft. Selbst in der liberalen Schweiz gelten die sogenannten Gesamtarbeitsverträge für alle Unternehmen einer Branche, und in einigen Branchen besteht zu diesem Zweck eine Pflichtmitgliedschaft für alle einschlägig tätigen Unternehmen in den etablierten Wirtschaftsverbänden. Das Problem ist also nicht die österreichische Pflichtmitgliedschaft, sondern die Kammer-internen Erstarrungen und Verschlingungen, die sich in vielen Jahrzehnten der ungehinderten Organsationsentfaltung gebildet haben – die verwachsene Kammerwelt. Auch die Kammern wurden Opfer ihrer jahrzehntelangen friedlichen Entwicklung.

Wenn man könnte, sollte man beide Kammern einfach zusperren – und danach neu gründen, erneut mit Pflichtmitgliedschaft in den neuen Organisationen. Mit dem gesamten Wissen, das heute bei internen und externen Menschen über diese beiden Organisationen vorhanden ist. Und wenn eine solche Neugründung nicht durchsetzbar ist? Dann brauchen wir eine radikale Reform unter Druck der Politik. Solange die bestehenden Verwachsungen zwischen SPÖ und Arbeiterkammer, bzw. zwischen ÖVP und Wirtschaftskammer aufrecht sind, ist damit aber leider kaum zu rechnen. Und die Kammern bleiben für freiheitsliebende Menschen ein Gefängnis.

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