Menschen, die sich in demokratischer Politik engagieren, sind in sympathischer und fruchtbarer Weise wahnsinnig. Das muss eingangs einmal gesagt sein. Denn sonst könnte das Missverständnis entstehen, dass es sich bei diesem Artikel um eine weitere Politikerbeschimpfung handelt.
In jedem Fall bewegen sich die Verhaltensweisen und Ausdrucksformen der Wahnsinnigen in bestimmter Weise außerhalb der Norm. Die Betroffenen sind damit aus der Mitte ihrer sozialen Umwelt – im buchstäblichen Sinne – „ver-rückt“. (Wikipedia)
Politiker nerven. Wie kommt so ein Mensch auf die Idee, berufen zu sein vor allen seinen Mitbürgern. Wie kommt er auf die Idee, dass seine persönlichen Ansichten mehr bedeuten als die seiner Mitmenschen, dass er vor den anderen berufen ist, das Wort zu ergreifen und zu „repräsentieren“? Normal ist das nicht.
Warum empfinden viele Wähler einen persönlichen Verlust, wenn ein langjähriger Polit-Promi wie Peter Pilz von seiner Partei eliminiert wird? Warum sind manche in derselben Partei überzeugt, dass stattdessen ein Junger wie Julian Schmid politisch wichtiger ist, der 20.000 Facebook-Follower hat? Antwort: Weil beide in unverwechselbarer Weise vom Normalen abweichen, einen ganz persönlichen Beitrag zur Politik im Land leisten.
Nicht jeder, der starke politische Überzeugungen hat, will auch selbst politisch aktiv sein. Wer sich in der repräsentativen Demokratie aufgehoben fühlt, der kann mit gutem Recht nur zuhause oder im Kreis von Freunden die Politik kommentieren und sich sonst einen Dreck um sie scheren. Das ist in Ordnung und völlig normal.
Dann gibt es auch Leute, die sich in der Republik, wie sie heute dasteht, eben nicht aufgehoben fühlen. Denen auch die Politiker ihrer Lieblingspartei nicht passen. Die fest davon überzeugt sind, dass die Politik anders sein müsste. Wahrscheinlich sehen diese Leute selbst vieles falsch und sind oft im Irrtum. Dafür sind sie von ihren politischen Ansichten fest überzeugt – ein bisschen wahnsinnig ist das schon. Aber das sind die Leute, die irgendwann selbst politisch aktiv werden, und gut daran tun. So einer ist sicher Peter Pilz, ein einzigartiger Kauz. Und wer glaubt, dass es wichtig ist, dass Politiker unter 30 mit den Jungwählern in Sozialen Netzwerken auf Augenhöhe sind, der denkt dasselbe über Julian Schmid.
Umgekehrt heißt das auch, dass es in politischen Parteien vor solchen Wahnsinnigen nur so wimmelt. Und bei vielen ist der Wahnsinn bzw. das Verrücktsein nicht sehr originell, sondern nur eine Wiederholung der falschen Ideen vieler anderer Wahnsinniger. Das sind die sogenannten Aktivisten, die Freiwilligen, die im Wahlkampf auf der Straße stehen und versuchen, mit Wählern ins Gespräch zu kommen. Auch diese Rolle ist aber ganz unverzichtbar für die Demokratie! Denn ohne diese Leute gäbe es keine Parteien sondern nur Personenkult, und das wäre gefährlich. Die Demokratie braucht Breite und interne Diskussionen.
Aber Parteien gehen dann schwer in die Irre, wenn sie ihre inhaltlichen Positionen gerade auf die Aktivisten ausrichten oder die nach dem Mehrheitsprinzip über jedes Detail bestimmen lassen wie bei den Grünen und den Neos. Das verkennt nämlich, dass Aktivisten ganz anders ticken als normale Wähler.
Am Ende entscheidend sind die kreativen Wahnsinnigen, die Unikate wie ein Peter Pilz, so merkwürdig und nervtötend sie auch sein mögen. Sie bringen die Gesellschaft voran, so wie kreative Wissenschafter, Unternehmerpersönlichkeiten und Künstler. Diese Leute brauchen Narrenfreiheit – und genügend große Gruppen von Parteiaktivisten, die sie kontrollieren und in ihren merkwürdigen Ideen immer wieder einbremsen. Und Wähler, die entscheiden, welcher von unseren Wahnsinns-Politikern für die nächsten Jahre die besten Ansätze hat. In diesem Sinn können auch die Anhänger anderer Parteien einen Politiker wie Peter Pilz schätzen, ohne mit ihm einer Meinung zu sein – und deshalb ist es so schade, wenn Leute wie er verloren gehen.
Eines noch: Wenn Sie jemand wie Peter Pilz wären, mit einer großen Portion Narrenfreiheit ausgestattet, was wäre dann Ihre tägliche Aufgabe? Ihren Wahnsinn auszuleben? Nein, im Gegenteil. Ihre Aufgabe wäre, eine gute Balance zu halten zwischen vernünftiger, disziplinierter Selbstkontrolle und nur einem kleinen bisschen Restwahnsinn, das Sie zulassen, weil es Ihnen einfach in die Wiege gelegt wurde. Wenn Sie diesen Spagat schaffen, dann erst sind Sie ein wirklich guter Politiker im Sinn der Republik 21.